​Die Küstenstraße von Punta Arenas nach Punta Delgada, zur Fähre nach Feuerland, verläuft recht unspektakulär. Weite Prärien in einem kargen Land, durchsetzt mit kleinen Sträuchern, immer entlang von endlosen Zäunen mit Stacheldraht. Abzweige von der Strasse enden meist unvermittelt an einem verschlossenen Tor. Die Estancia San Gregorio - oder auch Estancia des Grauens - liegt direkt an dieser Strasse. 

Verlassene Gebäude mit zerbrochenen Scheiben. Der Wind bewegt Reste einer Gardine, als ob dahinter noch Leben wäre. Risse durchziehen die einst prunkvollen Mauern, deren Farbe in das staubige braun der Umgebung übergeht. Der Blick durch die Fenster fällt auf zerfetzte Matratzen mit rostigen Bettgestellen. Ruß-geschwärzte Wände lassen den Ort vermuten, an dem früher einmal Menschen zum Essen zusammen gefunden haben. Eine Zeitung auf dem Tisch verkündet in großen Buchstaben die Schlagzeilen aus dem Jahr 1984... Ein Schild am Eingang zeigt noch immer voller Stolz das Jahr der Gründung, 1910... Daneben eine offizielle Gedenktafel. 

Überall liegen tote Schafe auf dem Gelände verstreut. Skelettiert und durch die Sonne ausgebleicht. Im Schatten liegen zahlreiche Tiere, die entfernt an Mumien erinnern. Ein eingefallener Haufen Fell in einer Hundehütte war vermutlich früher der wachsame Beschützer dieser Herde.. 

Verteilt in den Gebäuden liegen oder hängen mit Blut verkrustete Schaffelle, zum Teil noch mit Köpfen und Füssen. Berge von Wolle können wir durch die Löcher in den Türen erkennen. Aus einem Gebäude dringt ein süßlicher Verwesungsgeruch heraus. Vermutlich das Schlachthaus. Einen genaueren Blick ersparen wir uns. 

Direkt am Strand vor dem Gebäude liegt das rostige Schiffswrack der Amadeo. Was mag hier passiert sein, dass die Tiere ihrem grausamen Schicksal überlassen wurden und im eingezäunten Gelände vermutlich elendig verdurstet und verhungert sind. Mit einem sehr mulmigen Gefühl verlassen wir diesen fahlen Ort, wo Menschen ihren Mitgeschöpfen so wenig Achtung und Mitgefühl entgegenbringen.

Von der Estancia führt eine Dirtroad ins Hinterland. Die Landschaft ist endlos und leer, nur ein paar wildlebende "Vischinatas" -wie Micha sie nennt - und verwilderte Schafe sind zu sehen. Die endlosen Zäune werden für die Tiere zur Todesfalle. Beim überspringen verfangen sich ihre langen Beine. Etliche liegen tot im Zaun. Immer wieder stehen wir vor verriegelten Pforten oder in irgendeiner Sackgasse vor einer Erdgas Pipeline. 

Als wir erneut vor einer verschlossenen Pforte stehen, treffen wir auf eine Schafherde. Alle Schafe laufen vor uns weg, nur eines läuft panisch gegen den Zaun und eine Wanne aus Metall. Die Wolle ist ihm so lang ins Gesicht gewachsen, dass es völlig blind ist. Schließlich durchbricht es an einer Stelle den Zaun und entfernt sich mit unsicheren Schritten immer weiter vom Rest der Herde. Durch den starken Wind kann es vermutlich auch die Geräusche der anderen Schafe nicht mehr hören. Eine schlechte Entscheidung. Die Wasserstelle ist auf der anderen Seite, und so blind findet es die Öffnung bestimmt nicht mehr. 

Wir beschließen zu helfen. Ich versuche, mit einer Schere bewaffnet, vorsichtig das Schaf einzufangen, während Micha den übrigen Zaun einreißt. Zu diesem Zeitpunkt sind wir beinahe sicher, dass sich schon lange keiner mehr um die Tiere kümmert. Auch hier liegen verstreut tote Tiere herum. 

Als das Schaf unkoordiniert im Kreis rennt und über die eigenen Füße stolpert, greife ich es mir.... Geblendet vom unerwartetem Sonnenlicht, ein paar kg leichter und mit neuer Frisur darf es zurück zur Herde. Auf das es noch weitere Jahre den Weg zum Wasser findet. Uns bleibt nichts anderes übrig als den selben Weg wieder zurück zu fahren und unterwegs zu campen. 

Am nächsten Tag wollen wir nach Tierra del Fuego übersetzen.